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Die einsame Perfektionistin - ein Gespräch mit Thomas Woitkewitsch über Milva

Aktualisiert: 1. Aug. 2022


"Ich hab' keine Angst

Nein, sie lähmt mich nicht

Ich seh' der Gefahr offen ins Gesicht

Ich hab' keine Angst

Ich hab' keine Angst

Ich kann neuerdings

Nur nicht mehr gut schlafen"


Diese Zeilen sang Milva 1981 auf dem gleichnamigen Album. Das Lied „Ich hab‘ keine Angst“ wurde zu einem Klassiker der deutschsprachigen Musik, die Sängerin selbst sang es bei jedem ihrer Konzerte hierzulande. Der Text – wie auch alle anderen auf der dazugehörigen Langspielplatte – wurde geschrieben von Thomas Woitkewitsch, Jahrgang 1943. An insgesamt sieben Alben arbeiteten die Italienerin und der gebürtige Hamburger, der heute in Köln lebt, eng zusammen. Ob „Zusammenleben“, „Hurra, wir leben noch“, „Du bist sehr müde, Liebling“, „Mut zum Risiko“, „Musste ich nicht damit rechnen“ oder eben „Ich hab‘ keine Angst“ – die Texte von Thomas Woitkewitsch gehören nach wie vor zu den besten, die man in der deutschen Musik entdecken kann.

Alle Alben, die Milva damals bei der Plattenfirma Metronome aufgenommen hat, waren lange Zeit nicht mehr erhältlich. Mittlerweile aber sind sie bei sämtlichen Streaming-Portalen wieder zu hören – natürlich auch das kommerziell und künstlerisch sehr erfolgreiche „Ich hab‘ keine Angst“.

Genau der richtige Anlass, um ein Interview zu führen mit dem Mann, der Milva all diese Texte auf die Stimme schneiderte: Thomas Woitkewitsch.

Das Gespräch fand am 22. Juli 2022 statt.


Herr Woitkewitsch, Sie waren in den Siebziger Jahren verantwortlich für die Shows von Rudi Carrell, haben gemeinsam mit Alfred Biolek die deutschsprachigen Folgen von Monty Python’s Flying Circus für den WDR produziert und übertrugen Texte des niederländischen Chansonniers Herman van Veen ins Deutsche. Wie kam es dann 1978 zur Zusammenarbeit mit Milva?


Ich hatte vorher für den NDR eine Sendung als Autor gemacht, also Lieder übersetzt oder auch getextet für eine Show mit zwei leider hier sehr vergessenen niederländischen Künstlern, Liesbeth List und Ramses Shaffy. Zu der Zeit überlegte die damalige Firma Metronome, Milva auf Deutsch herauszubringen. Das, was sie vorher auf Deutsch aufgenommen hatte, war hohe Kunst, sprich Brecht und Weill. Jetzt wollten die es ein bisschen popularisieren und der Plattenproduzent hatte meinen Namen im Abspann der Show mit Liesbeth List und Ramses Shaffy gesehen. Dann haben die sich bei mir gemeldet und ich saß dann mit einem Mal da mit Musik von Theodorakis. Das war nur ein Band mit Klaviermusik, das er in Paris aufgenommen hatte, kein Text und nix. Und nun sollte ich also den weltberühmten Theodorakis und die in Fachkreisen schon sehr geschätzte Milva mit meinen Texten zusammenbringen.


Das klingt, als wäre es eine eher schwierige Aufgabe für Sie gewesen…


Ich war sehr nervös. Ich hatte bis dahin noch nicht sehr viele deutschsprachige Texte geschrieben, in erster Linie nur für meinen Freund Herman van Veen. Dann kam ich aber auf die rettende Idee: Ich bin nach Turin gefahren, wo Milva damals lebte. Ich habe sie dann wie ein Journalist interviewt – also mit dem Block auf dem Schoß gefragt: „Was essen Sie am liebsten?“, ganz banale Dinge eben. Da saß dann aber neben ihr noch ein Mann, das war ihr damaliger Freund. Und ich fragte sie dann: „Was mögen Sie an Massimo?“ Und da sagte sie: „Ja, er ist klug, er ist zärtlich, aber das ist es nicht allein, er lässt mir alle Freiheiten.“ Mit diesem Interview fuhr ich dann nach Hause und habe da auf der Cassette immer wieder die Musik von Theodorakis gehört und guckte mir die Texte dieses Interviews mit Milva an. Ich habe dann überlegt, welche Themen sich herausbilden und welche zur Musik passen – und so entstand dann „Zusammenleben“, das war ihr erster großer Erfolg, ihr Durchbruch in Deutschland. Das war das, was sie mir über ihren Freund erzählt hatte. Dann trat sie damit in „Bio’s Bahnhof“ auf und fuhr da mit einem alten Zug auf die Bühne und stieg aus als junge, schöne Diva und sang dann „Ich maaaaag dich, weil du klug und zärtlich bist…“ und eine Woche später ging „Zusammenleben“ dann durch die Decke, wie man so schön sagt. Die Plattenfirma jubelte, ich habe auch gejubelt – und das war der Anfang von unserer Zusammenarbeit.


Sie haben jetzt selber das Stichwort gegeben: Diva. War Milva eine Diva oder nicht? Es gibt da die unterschiedlichsten Meinungen.


Ich habe immer gesagt, dass ich Milva überhaupt nicht als Diva sehe. Ich sehe sie als sehr ernsthafte, professionelle Arbeiterin, die sich denen gegenüber gut benimmt, die sie gut behandeln und die knallhart sein kann, wenn jemand versucht, sie übers Ohr zu hauen. Auch auf der Bühne habe ich sie nie als Diva empfunden, beispielsweise im Sinne einer Zarah Leander. Sie war eine Künstlerin, die fantastisch singen konnte, ein kleines Persönchen, das auf der Bühne durch die Stimme und durch den Auftritt die Größte war. Ich habe sie nie als Diva gesehen und sie war auch keine.


Kann man sagen, dass es nach all den Jahren der Zusammenarbeit dann eine Freundschaft war zwischen Ihnen und Milva?


Das ist eine schwierige Frage. Ich habe ja auch mit anderen gearbeitet und Erfolge gehabt. Hermann van Veen ist bis heute einer meiner besten Freunde – aber mit Milva…ich stand damals ja auch noch ganz am Anfang und sie hatte diese Aura. Ich war sehr nervös und sie war sehr cool. Ich kann nicht sagen, dass sie mich wie einen Freund behandelt hat, aber später, nach einiger Zeit, war sie dann sehr charmant bei gemeinsamen Abendessen und hat sich auch privat nach meinem Wohlergehen erkundigt. Da war schon eine Beziehung, aber es war nicht die, die ich gewohnt war von anderen. Wencke Myhre oder Caterina Valente, wir flogen uns in die Arme, wenn wir uns gesehen haben. Das war bei Milva nicht so, da war immer eine professionelle Distanz und eine Art Zweifel. Im FAZ-Fragebogen hat sie einmal auf die Frage „Was ist bei Ihnen ein hervorstechendes Merkmal?“ geantwortet: „In erster Linie Zweifel“. Sie war ja auch keine, die sich dem Publikum direkt an den Hals schmiss, sondern sie hat sich den Erfolg bei jedem Auftritt hart erarbeitet. Sie war niemand, der Menschen schnell vertraute. Was auch daran gelegen haben könnte, dass sie es in ihrem Leben, in ihrer Jugend und auch später, nie leichtgehabt hat.


Ich selbst habe Milva zwei Mal interviewt, das war etwas anstrengend – und zwar in dem Sinne, dass ich kein Italienisch sprach und sie auf Fragen mit einem Gemisch aus Italienisch, Deutsch, Französisch und Englisch antwortete. Wie war die Kommunikation zwischen Ihnen und Milva, auch bezüglich der deutschen Texte? Mussten die zunächst ins Italienische übersetzt werden, damit sie verstand, worum es ging?


Die Kommunikation war sehr anstrengend (lacht). Das trug auch zu dieser leisen Distanz bei, natürlich. Ich musste auch rumstottern. Englisch geht bei mir relativ gut, Französisch kaum und Italienisch gar nicht. Aber es war von Anfang an eine sehr erfreuliche Situation, denn ich hatte nur sie als Hauptgesprächspartner, sie entschied: „Das singe ich.“ Sie hatte natürlich noch ihre Sekretärin und Assistentin (damals war es Rosa Pape, in den letzten 30 Jahren von Milvas Karriere war es dann Edith Meier, die nach eigener Aussage als „Assistentin, Garderobiere, Betreuerin, Begleiterin, Sekretärin, Übersetzerin und Mädchen für alles“ fungierte; Anmerkung des Autors), vielleicht gab es auch noch andere Menschen, denen sie die Texte zeigte, aber ich habe eigentlich immer nur mit ihr diskutiert. Und es gab durchaus eine Reihe von Textversuchen, die im Papierkorb landeten, also gnadenlos, da kannte sie nichts. Aber es gab auch Texte, bei denen ich störrisch war und dann hat sie mich bestraft, in dem sie die nie wieder auf irgendeiner Bühne gesungen hat. Das war so unser kleines Spielchen. Aber was die Kommunikation betrifft, war sie ungeheuer sprachbegabt, auch im Sinne von Intonation. Sie konnte die Sprache auf die Musik legen und umgekehrt die Musik auf die Sprache – und wenn sie dann die Phonetik gelernt hatte, kamen für mich ihre schönsten Leistungen zustande. Ich betrachte es bis heute als Ehre, für eine so großartige Künstlerin gearbeitet zu haben.


Foto von Thomas Woikewitsch: Wilfried Stoye


Das Album „Ich hab‘ keine Angst“ wird von vielen Milva-Fans besonders geschätzt. Was hat Sie zu dem Text des Titelliedes inspiriert, das ja im Original ein Instrumental namens „To The Unknown Man“ von Vangelis war?


Dieses Album, bei dem alle Kompositionen von Vangelis stammten, war meine dritte Zusammenarbeit mit Milva und es wurde schwieriger für mich, interessante Textideen zu finden. Worüber soll ich schreiben, worüber soll ich sie singen lassen? Ich musste ja für sie schreiben und nicht über mich und mein Leben. Außerdem war ich ein gefürchteter Spätlieferant, in der gesamten Branche haben alle immer gesagt „Verschont uns vor diesem Mann, der liefert immer so spät“ (lacht) – und so war es auch bei diesem Album. Es fehlte noch ein einziger Song und der Produzent hat mich dann nach Berlin eingeladen, wo das Album in den berühmten Hansa-Studios aufgenommen wurde. Das war der Klaus Ebert. Der hat mich dann nach meiner Ankunft in mein Hotelzimmer gebracht, öffnete die Tür, sagte „Dieses Zimmer ist jetzt deins, die Metronome zahlt die Minibar, ich warte unten bis zwei Uhr morgens, wenn du den Text fertig hast, rufst du mich an. Darf ich dich noch darauf aufmerksam machen, dass Milva morgen nach Mailand fliegt und dann nach Tokyo, sie ist dann ein halbes Jahr weg. Wenn du nicht fertig wirst, platzt das ganze Album und du hast dann eine riesige Menge Geld versenkt. Also, streng dich an!“ Und mit dieser Botschaft, diesem Druck, nimmt er den Schlüssel und schließt von außen zu. Ich habe erst gedacht, ich lass mich doch hier nicht entwürdigen und erniedrigen, das geht zu weit. Aber dann siegte irgendwie so eine Art Ehrgeiz und ich dachte, von diesem Produzenten lasse ich mich nicht in die Knie zwingen. Dann habe ich mich in diesem Hotelzimmer an den Tisch gesetzt und mir wieder die Musik von dem Lied auf Cassette angehört und da erklang dann immer wieder dieses Intro, dum-dum-dum-dum, das hatte irgendwie fast etwas Militaristisches, aber mir fiel immer noch nichts ein, und ich dachte „Oh Gott, morgen ist sie weg, das ganz Geld futsch“. Ich war so verzweifelt wie selten in meinem Leben, in solchen Augenblicken fühlt man sich verdammt allein. Irgendwann in der Nacht bin ich dann ins Bad, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu klatschen, gucke in den Spiegel, sehe ein blödes, verzweifeltes Gesicht und murmelte dann vor mich hin: „Ich hab‘ keine Angst, mich kriegen die nicht klein, stellt sich ein Problem, stell‘ ich mich drauf ein“. Sprach es zu mir, ging zum Tisch und habe innerhalb einer halben Stunde den kompletten Text geschrieben. Milva hat es dann am nächsten Tag um elf Uhr morgens im Studio gesungen, anderthalb Stunden später ging ihr Flieger – das war also die Genesis von „Ich hab‘ keine Angst“. Und alle denken bis zum heutigen Tag: „Milva – eine starke Frau, sie hat keine Angst!“ Falsch, das war mein Schiss (lacht).



Also hat Milva gar keine Zeit gehabt, sich eine Interpretation des Textes zu überlegen und das Lied mehr oder weniger spontan gesungen?


Der Produzent hat ihr gesagt: „Das und das kommt im Text vor, darum geht es, versuch‘ mal dein Glück“. Und sie hatte ja dieses überragend sprachliche Talent und sie wusste jetzt, worum es in dem Lied ging. Sie war auch Schauspielerin und das kam ihr zugute. In diesem Fall schauspielerte sie die „starke Frau“, die sie ja letztendlich auch war – eben nur nicht in diesem Fall, denn das war, wie gesagt, meine Angst, um die es in dem Lied ging.


Ich finde die glasklare Diktion von Milva in ihren deutschen Liedern immer noch erstaunlich.


Für jemanden, der überhaupt kein Wort Deutsch kann, ja. Da gab es keinen Sprachlehrer und nix. Der Produzent hat ihr manchmal erklärt, wie einige Worte ausgesprochen werden oder die Endungen, aber sie hatte dieses Gefühl für den Text, für das Verschmelzen von Musik und Wort. Das war auch ein Teil ihres Erfolgsgeheimnisses.



Das Album „Ich hab‘ keine Angst hat einige ausgesprochen melancholische Texte. „Er“, „Freunde, die keine sind“ oder „Sie sind noch jung“, in dem eine reife Frau ein junges Liebespaar beobachtet und sich an ihre eigene Jugend erinnert fühlt…


Das war übrigens eines der Lieder, bei denen ich störrisch geblieben bin und das sie nicht gerne gesungen hat. Sie hat es gehasst. Sie hat immer gesagt: „Ich bin doch noch jung, I am still young, I don’t feel that way, I am not old“. Das hat sie wirklich gegen ihren Willen gesungen. Aber so etwas passierte nicht sehr häufig, zwei, drei Mal vielleicht insgesamt.


„Freunde, die keine sind“ ist ebenfalls ein sehr trauriger Text mit den Worten „Wenn ich versuch‘ dich zu warnen / Schlägst du das nur in den Wind / Spürst du nicht, wie sie dich umgarnen / Freunde, die gar keine sind“. Was war die Inspiration dahinter?



Das war auch Alfred Biolek, mein guter Freund, der dann immer das Haus voll hatte von irgendwelchen Jüngelchen, die aber alle keine Freunde waren, die haben nur seinen Ruhm ausgenutzt.


Was ist Ihr persönliches Lieblingslied auf dem Album?


Das ganz kurze, am Schluss. „Da oben ist sein Zimmer“, da ist nur knapp anderthalb Minuten lang. Wenn jemand meine Texte kennt, dann weiß er, dass ich keine Angst vor der Verbindung Schlager und Chansons habe, ich sage immer, ich schreibe Schlansons. Biolek hat immer gesagt: „Wandler zwischen Kunst und Kitsch, das ist Thomas Woitkewitsch“. Damit hatte er Recht. Ich versuche immer, Bilder zu erschaffen. Und so, wie in diesem Lied jemand vor der Tür einer ehemaligen Liebe steht und was dann alles im Kopf herumgeht – jeder, der mal geliebt hat, kennt diese Situation. Szenen, die sich im Inneren abspielen, bei besonderen Erlebnissen. Und das ist mir hier, finde ich, besonders gut gelungen. Ich halte es wahrscheinlich sogar für meinen besten Text von allen. Ich halte auch „Er stand da und weinte“ für sehr schön.



In welchen Fällen hat Milva Sie als Sängerin sonst noch beeindruckt?


Bei der Aufnahme von „Hurra, wir leben noch“. Das Einsingen haben wir im Studio von Klaus Doldinger gemacht, der auch die Musik dazu geschrieben hatte. Milva hat den Song gesungen und als dieses große Finale am Schluss kam, wo singt „Wir leben noch, wir leeeeeeeben!“, da weiß ich noch ganz genau, wie Doldinger und ich uns in den Armen lagen und sagten: „Ja, das ist es!“



Nach dem sechsten Milva-Album „Mut zum Risiko“ endete die Zusammenarbeit für viele Jahre. Warum kam es dazu und wie haben Sie davon erfahren?


Ich muss sagen, das war einer der Tiefpunkte meines Lebens. Milva war mit diesem Album, also „Mut zum Risiko“, noch bei Biolek in einer Sendung und hatte da gesagt „Ja, ich mache demnächst die siebte Schallplatte mit Thomas zusammen“ - und ich ging ganz glücklich nach Hause. Aber dann hörte ich so hintenherum von Leuten die Frage „Sag‘ mal, hast du eigentlich gehört, dass der Michael Kunze bei Vangelis war wegen der Milva?“ Wobei ich betonen möchte, dass ich Michael Kunze als Texter sehr schätze. Aber damals wusste ich nichts davon, dass er Texte für Milva schreiben sollte (die dann auf dem Album „Geheimnisse“ zu hören waren; Anmerkung des Autors). Und ich dachte nur: „Was? Wie?“ Ich wusste damals noch nicht, wie brutal das Gewerbe sein kann. Aber heute weiß ich, dass die Leute von der Plattenfirma zu recht gesagt haben, das Thema „Milva und Woitkewitsch“ braucht mal ein bisschen Ruhe, eine Pause. Ich hätte mich gefreut, wenn die mir das persönlich gesagt hätten, aber das trauten die sich nicht. Ich bekam ein Fax mit den Worten „Es war eine schöne Zeit, mach‘ mal eine Pause.“ Zeitgleich bekam ich meine erste und einzige Platinschallplatte für das Milva-Album „Von Tag zu Tag“. Die hatte beim Auspacken vorne schon einen Riss im Glas. Und das war für mich ein Sinnbild dafür, wie zerbrechlich Ruhm und Erfolg doch sein können. Aber das gehört dazu.


Sind Sie nach diesem Ende mit Milva noch in Kontakt geblieben?


Ich habe 1995 dann noch für das Album „Tausendundeine Nacht“ die Texte geschrieben und dann noch später „Das Ja zum Leben“ auf dem Album „Stark sein“, das war ursprünglich von einem Portugiesen. Und dann hat sich Milva ja zurückgezogen in den 2000ern. Das war für mich das Allerschrecklichste. Sie ging nicht mehr raus. Als ich mal in Mailand sein sollte, habe ich sie angerufen und habe gesagt: „Sag‘ mal, ich bin kommende Woche in Mailand, können wir nicht einen Cappuccino zusammen trinken? Eine Viertelstunde – und dann bin ich wieder weg.“ Und sie hat geantwortet: „Ich geh‘ nix mehr weg, ich trinke keine Kaffee mehr mit Leute. Du wirst mich nie mehr wiedersehen.“ Da war Schluss, da hatte sie sich schon aufgegeben und das war sehr traurig. Von keinem der Künstler, mit denen ich zusammengearbeitet habe, hat es so ein trauriges Ende gegeben.



Was ist für Sie als Erinnerung an Milva geblieben?


Einmal, das war im Atlantic Hotel in Hamburg, da waren wir abends essen, und da machte sie ihre Handtasche auf und holte einen handgeschriebenen Zettel raus. Darauf stand auf Deutsch: „Es war ein Spiel, was sollte es anderes sein? Was ist nicht Spiel, das wir auf Erden treiben? Wir wissen nichts von anderen, nichts von uns, wir spielen immer – wer es weiß, ist klug“. Und dieses Zitat hat ihr 1972 Giorgio Strehler, der ja sehr erfolgreich mit ihr Brecht inszeniert hat, gegeben. Diesen Zettel hat sie immer in der Handtasche gehabt. Da musste ich damals sehr schlucken. Ich glaube, dass sie im tiefsten Herzen kein sehr glücklicher Mensch war. 1985 zum Beispiel hatte sie einen großen Auftritt in Paris, im Theater Bouffes Du Nord, wo sie Lieder von Astor Piazolla gesungen hat. Das war einfach phänomenal und tout Paris war da. Es war unglaublich, wie sie gefeiert wurde. Hinterher saßen sie zusammen, Astor Piazolla und Jeanne Moreau und Milva in der Mitte. Sie war wirklich viel berühmter, als viele es wissen in Deutschland. Das Publikum hat sie verehrt an diesem Abend. Ich habe ihr dann einen riesigen Strauß roter Rosen auf ihr Zimmer im Hotel Ritz geschickt, weil ich sie so bewundert habe als Mensch und als Künstlerin, das musste ich einfach machen. Milva war eine professionelle, extrem hart arbeitende, einsame Künstlerin. Sie hat ja auch öffentlich über ihre Depressionen gesprochen. Sie blieb oft ganz für sich. Wenn alle feierten und jubelten und der Schlussapplaus noch nachklang, da war sie schon in der Garderobe, ließ sich ihre Gage auszahlen und fuhr dann ins Hotel. Dort war sie ganz allein, da war keiner von uns. Und dann hat sie gewaschen oder Knöpfe angenäht, genoss die Einsamkeit. Ich halte sie für eine sehr einsame Künstlerin im Grunde ihres Herzens, aber eine geniale Frau.


















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